| Ein Beitrag von Iris Pasker-Horwath |

Viele Jahrzehnte lang kursierte die Idee, dass durch Dehnung die Muskeln verlängert werden, verkürzte Muskeln bzw. muskuläre Dysbalancen durch das Dehnen der „verkürzten Muskeln“ wieder in die Länge gezogen werden könnten. Auch der Mythos, dass Dehnen in jedem Falle vor bzw. nach jedem Sporttreiben zur Verletzungsprophylaxe oder Regenerationsfähigkeit beiträgt, hält sich. Hier ein kurzer Überblick, der Übungsleiter und Trainer motivieren soll, ihre Dehnungseinheiten neu zu überdenken. Dabei sollte aber festgehalten werden, dass der Forschungsstand im Bereich Dehnung noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass hier endgültige Aussagen gemacht werden können.

Mythos Muskelverlängerung
Insbesondere durch die Erforschung der Faszien aber auch anderer Zielsetzungen in der Forschung, haben sich jedoch einige „Gewissheiten“ relativiert. In der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin findet sich Folgendes: „Inzwischen weiß man aber, dass in der Muskel-Sehnen-Einheit keine Längenänderung stattfindet. Titin, das neben Aktin und Myosin dritte wichtige Protein im Muskelfilament, verhält sich wie eine molekulare Feder und sorgt dafür, dass das Sarkomer nach einer Dehnung zu seiner optimalen Länge zurückkehrt. Vermutlich wird der Bewegungsradius durch ein Dehnprogramm erhöht, weil sich die Schmerzrezeptoren des tendomuskulären Systems durch neuronale Steuermechanismen anpassen. Nicht der Muskel wird also länger, sondern der Dehnungsschmerz wird schwächer wahrgenommen.“ (vgl. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin Oktober 2019)

Dehnung zur Leistungssteigerung
Vor dem Sport zu dehnen ist nicht immer nützlich. Nur wenn die folgenden Leistungen von einer guten Beweglichkeit abhängig sind, macht Dehnung vor dem Sport Sinn. Bei überwiegend durch Kraft. Sprungkraft oder Schnelligkeit geprägten Sportarten wirkt sich das Dehnen vor dem Sport eher negativ aus. Allerdings kann durch ein darauffolgendes Aktivierungsprogramm dieser Effekt wieder aufgehoben werden. Die regenerative Wirkung bzw. schmerzreduzierende Wirkung von Dehnung. Wenn eine sehr intensive Einheit absolviert wurde, führt eine Dehnung im Anschluss eher noch zur Verstärkung der Mikroeinrisse im Muskel- und Fasziengewebe. Darum ist es sinnvoll erst nach einer Pause von mehreren Stunden Dehnungsübungen durchzuführen.

Was bringt Dehnen dann überhaupt?
Einschränkungen und Schmerzen im Bewegungsapparat werden häufig nicht durch Gelenk- oder Muskelprobleme, sondern durch in ihrer Gleitfähigkeit und Elastizität eingeschränkten Faszien herbeigeführt. Durch dynamisches Dehnen (weiche federnde Minidehnungen) verbessert sich die Elastizität der Faszien. Durch Dehnung in verschiedene Richtungen und Winkel sowie durch statisches Dehnen (Halten einer Dehnposition über mind. ca. 15 Sekunden wird die Gleitfähigkeit der Faszien verbessert). Diese Effekte wirken sich positiv auf die Kraftübertragung sowie die Geschmeidigkeit der Bewegung aus. Soll auf lange Sicht die Beweglichkeit verbessert werden, wird bei jetzigem Forschungsstand das Absolvieren separater Dehnungseinheiten empfohlen. Auch der Effekt des Dehnens auf die psychische Entspannung konnte in einigen Untersuchungen nachgewiesen werden. Beim Dehnen wie bei allen sportlichen Aktivitäten erhöht sich der Serontoninspiegel, so dass die Stimmung stabilisiert wird.