Allgemeinmediziner und Orthopäde Dr. Jens Stening vom OSP Bad Kreuznach über Bewegung und Ernährung als Prophylaxe in Zeiten des Coronavirus.

Auch wenn Wissenschaftler seit Wochen mit Hochdruck forschen: Bis Anfang 2021 wird es Experten zufolge noch dauern, bis ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden ist. Mindestens. Doch es gibt ein ganz einfaches Mittel, sein Immunsystem gegen Viren aller Art scharf zu stellen: Sport und Bewegung. Der Landessportbund Rheinland-Pfalz sprach mit dem Sport- und Ernährungsmediziner und Orthopäden Dr. Jens Stening vom Olympiastützpunkt (OSP) Bad Kreuznach, einem ausgewiesenen Experten zur Versorgung rheinland-pfälzischer Sportler*innen.

Facharzt für Allgemeinmedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie: Dr. Jens Stening. Foto: SpoMed-Zentrum Bad Kreuznach

Facharzt für Allgemeinmedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie: Dr. Jens Stening. Foto: SpoMed-Zentrum Bad Kreuznach

Herr Dr. Stening, dass Sport positive Auswirkungen auf das Immunsystem hat, dass er dieses System ein Stück weit verjüngt, weiß jeder. Welche sind das genau?
Die positiven Aspekte von dosiertem Ausdauersport betreffen das so genannte zelluläre Immunsystem mit verschiedenen immunkompetenten Zellen, die vorwiegend im Rahmen einer unspezifischen Entzündungsreaktion reagieren – wie zum Beispiel Makrophagen und Granulozyten. Auf der anderen Seite gibt es humorale Faktoren wie Immungloboline und Zytokine, die auf spezifische Weise reagieren. Moderat intensiver Ausdauersport mit circa zwei Einheiten pro Woche führt hier zu einer nachhaltigen Aktivierung des Immunsystems, sodass Gesundheitssportler tatsächlich einen verbesserten Immunschutz besitzen.

Sind denn Sportler allgemein weniger empfindlich gegen Viren – oder gilt das nur für Leistungssportler?
Hier muss man sich differenzieren. Der Gesundheitssportler mit einem moderaten Anteil an aerober Trainingsarbeit verfügt über ein kompetenteres immunologisches System. Leider ist es so, dass die Trainingsumfänge und Belastungen vieler Hochleistungssportler das immunologische System überfordern und diese Sportlergruppe tatsächlich unter einem erhöhten Infektrisiko leidet. Das heißt, es gibt im Bezug auf die Immunkompetenz nicht nur ein zu wenig, sondern auch ein zu viel. Davor müssen wir unsere jungen, aber auch älteren Leistungssportler dringend warnen. Ein verschleppter viraler Infekt kann leider über eine Entzündung des Herzmuskels auch tödliche Folgen haben. Moderater Ausdauersport wirkt jedoch im Bezug auf das Immunsystem sehr positiv.

Wie kann man es am besten anstellen, den eigenen Körper gewissermaßen als Schutzschild zu wappnen?
Eine ausgewogene Mischkost sowie moderate sportliche Aktivität sind sicher die besten Maßnahmen, um unser Immunsystem zu unterstützen. Eine spezifische Substitution mit speziellen Nahrungsergänzungsmitteln ist meist nicht notwendig. In der Fachliteratur wird derzeit diskutiert, ob zumindest in den Wintermonaten eine Substitution von Vitamin D sinnvoll sein kann. Von einer Substitution über das ganze Jahr sollte man jedoch sicher absehen. Gerade im Bezug auf die fettlöslichen Vitamine kann es hier auch zu einer Hypervitaminose kommen. Eine ausgewogene Ernährung sowie moderater Sport stellen das beste Schutzschild dar. Das klingt zwar nicht sehr sexy – ist aber trotzdem wahr.

Inwiefern können alte und schwache Menschen, Herz-Kreislauf-Patienten oder Lungenkranke von moderatem Sport und Bewegung profitieren?
Auch die genannten Personengruppen profitieren von einer leichten aeroben Belastung und moderatem Krafttraining. Die Belastungen müssen nur auf das individuelle Niveau adaptiert werden. Hier kann selbstverständlich eine kompetente sportmedizinische Beratung dringend empfohlen werden. Entsprechende Informationen können bei Medizinern mit der Zusatzbezeichnung Sportmedizin oder in den einschlägigen bekannten sportmedizinischen Zentren in Rheinland- Pfalz eingeholt werden.

In jedem Fall empfiehlt sich für unfitte Personen, erstmal langsam in die Leibesübungen einzusteigen. Wie könnte so etwas aussehen?
Die medizinischen Fachgesellschaften empfehlen gerade bei Neuaufnahme einer regelmäßigen sportlichen Aktivität zunächst eine sportmedizinische Grunduntersuchung, damit das aktuelle individuelle Leistungs- und Belastbarkeitsprofil hinreichend beschrieben werden kann. Auf dieser Basis können dann valide Empfehlungen gegeben werden. Insbesondere sollten die sportlichen Betätigungen hinreichende Anteile einer moderaten Ausdauerbelastung aufweisen.

Was halten Sie von Omega-Drei-Fettsäuren, Aminosäuren oder auch Vitamin D-Präparaten? Umso weniger Vitamin D man hat, desto größer ist ja die Anfälligkeit für eine Influenza, richtig?
Das wäre sehr schön, wenn die Zusammenhänge so einfach wären. Ein bisschen Vitamin D mehr eingenommen und schon bekommt man keine Influenza. Leider ist dem so nicht. Die Zusammenhänge des Körpers sind leider viel komplexer – und die positiven Aspekte nicht einzelnen Vitaminen mit einem einfach fassbaren Namen oder einer bestimmten Fettsäuren zuzuordnen. Lassen wir es bei der oben genannten Aussage, die vielleicht langweilig, aber trotzdem wahr ist. Eine ausgewogen Mischkost und moderater Ausdauersport sind die Grundpfeiler einer gesunden Lebensführung. Selbstverständlich sollte man zumindest in Risikogruppen auch bei einfach durchführbaren Impfungen zu entsprechenden Maßnahmen greifen. Personen der Risikogruppe sollten sich daher gegen Influenza impfen lassen.

Würden Sie den Rheinland-Pfälzern raten, sich mal checken zu lassen, ob Fettsäure-Werte und Co. bei ihnen im grünen Bereich liegen – und wo und wie geht das und was kostet es?
Ich halte es für medizinisch sinnfrei, einzelne Blutanalysen der beschriebenen Parameter durchzuführen. Das Geld sollte man sich sparen und in anständige Ernährung und eine gute Sportausstattung investieren. Vor der Aufnahme einer neuen sportlichen Aktivität – selbstverständlich nach Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften – kann eine entsprechende sportmedizinische Grunduntersuchung dringend angeraten werden. In Italien konnten in den letzten Jahren mit solchen Maßnahmen die Todesfälle im Rahmen sportlicher Volksläufe gesenkt werden. Den Tod als Folge einer sportlichen Aktivität zu verhindern scheint ein sehr ehrenwertes Ziel zu sein. Hier scheint mir das Geld besser investiert zu sein.

Wobei die beste Medizin ja wie gesagt eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist. Was sind hier Ihre Tipps außer frischem Obst und Gemüse – am besten aus regionalem Abbau?
Wir sprechen über eine ausgewogene Mischkost. Dazu gehört sicher auch Fisch und moderater Fleischgenuss. Man muss keine tierischen Produkte zu sich nehmen, es ist jedoch in der Durchführung deutlich leichter. Selbstverständlich sieht unser durchschnittliches Ernährungsverhalten jedoch so aus, dass der Anteil naturbelassener Nahrungsmittel leider im Durchschnitt zu gering ist. Auch hier ist das Geld in entsprechende werthaltige Nahrungsmittel gut investiert. Aber natürlich können wir das Coronavirus mit keiner noch so gesunden Ernährung derzeit bekämpfen!

Fakt ist ja, dass schon seit Tagen fast alle Sporteinrichtungen geschlossen sind. Was sollen die Vereinssportler jetzt tun?
Leider muss unser übliches soziales Leben derzeit auf den Kopf gestellt werden. Wir müssen die Infektionskette durchbrechen. Das kann uns nur gelingen, wenn wir uns in eine gewisse soziale Isolation im familiären Rahmen begeben. Wir sind das nicht gewohnt, unsere medizinischen Waffen sind augenblicklich sehr begrenzt und unterscheiden sich von denen der Seuchenbekämpfung vor tausend Jahren nicht wesentlich – außer dass wir vielleicht einen gewissen Wissens- und Kommunikationsvorsprung haben. Leider ist es jedoch so, dass die Taten der Erkenntnis nicht immer folgen. Das könnte uns in den nächsten Wochen teuer zu stehen kommen. Die Sportler*innen können selbstverständlich ein leichtes Fitnessprogramm mit allgemeinen athletischen Übungen auch Zuhause durchführen. Hierzu sind kaum Geräte notwendig. Wer sich glücklich schätzen kann, ein Ergometer zu besitzen, kann hiermit ein dosiertes Ausdauertraining durchführen. Das Gründen informeller Sportgruppen würde den aktuellen Präventivmaßnahmen zuwiderlaufen. Wir müssen das ganz deutlich betonen und uns leider Gottes an die Verhaltensregeln halten: Bitte keinen Sport in der Gruppe durchführen!

Was immer gut und für fast jeden halbwegs gesunden Menschen machbar sein dürfte, sind ausgedehnte Spaziergänge in Feld und Flur. Auch an Wäldern herrscht in RLP ja nicht gerade ein Mangel. Nicht wenige Menschen haben allerdings Angst, dass im Falle einer Ausgangssperre auch Waldspaziergänge unter Strafe gestellt werden könnten. Das wäre freilich absurd, oder?
Wenn sich alle Sportler an die derzeitigen Empfehlungen halten würden, könnte man die Aussage so unterstützen. Leider ist es eine Tatsache, dass auch in Feld und Flur sich entsprechende Gruppen/Sportlergruppen bilden und dann gemeinsam Sport treiben. Das läuft den aktuellen Bestrebungen der moderaten Quarantänemaßnahmen dann leider entgegen. Wenn wir uns alle an die neuen Spielregeln halten und soziale Kontakte minimieren und vermeiden, können wir vielleicht eine Ausgangssperre wie in Frankreich noch vermeiden, das wäre sehr schön. Ich wünsche uns allen eine glückliche und infektfreie Zukunft. Jeder Sportler kann jetzt durch sein persönliches Verhalten dazu beitragen.


Das Interview führte
Michael Heinze
Landessportbund RLP